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AutorenbildTitus Kaletta

Telemedizin: Verwaltung oder schon digitale Versorgung?


Amazon Care wird ab diesem Sommer seinen digitalen Gesundheitsdienst für ganz USA anbieten. Mit dieser Ankündigung hat Amazon neuen Wind in den Telemedizinmarkt gebracht und setzt dabei ein wichtiges Muster für digitale Geschäftsmodelle ein. Was steckt dahinter und was bedeutet das für deutsche Anbieter?

 

Die Gesundheitsplattform Amazon Care startete vor zwei Jahren und bietet Hausarztdienste und die Begleitung von chronischen Kranken als Kombination aus virtueller Betreuung und regelmäßigen Kontrollen an. Patienten können rund um die Uhr mit Ärzten chatten, Video-konferieren, Vor-Ort-Termine vereinbaren oder Rezepte bestellen. Was ursprünglich nur für Mitarbeiter von Amazon gedacht war, soll nun auch anderen Unternehmen innerhalb der USA zur Verfügung stellen. Der Bedarf für hybride Lösungen in der Gesundheitsversorgung ist seit der Corona-Epidemie stark gewachsen.


Die Telemedizin ist weder neu noch von Amazon erfunden. Tatsächlich gibt es auch europäische Anbieter. So ermöglicht der deutsche Telemedizin-Pionier TeleClinic bereits seit 2015 online-Ärztebesuche, elektronische Rezepte und digitale Krankschreibungen. Das Münchner Startup hat es zudem geschafft, dass für diesen Service Private und seit 2020 die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernehmen. Seit Juli 2020 ist TeleClinic Teil der Schweizer DocMorris-Muttergesellschaft, Zur Rose AG.


Das Interessante an Amazons Ankündigung ist, der stete Versuch als globaler Versandhändler in den lukrativen Gesundheitsmarkt vorzudringen. So startete im November letzten Jahres bereits Amazon Pharmacy in den USA, wo Kunden rezeptpflichtige Medikamente über den Amazon On-line Shop bestellen können. Amazon illustriert hier, die Möglichkeiten mit digitalen Geschäftsmodellen in neue Branche vorzudringen.


Digitale Geschäftsmodelle haben typische Muster oder Prinzipien, die sie von konventionellen Geschäftsmodellen unterscheiden. Eines der bekanntesten Muster ist die Monopolbildung durch Netzwerkeffekte, wie beispielsweise Whatsapp als mit Abstand führender Messangerdienst oder die Suchmaschine Google, mit 97,6% Marktanteil im mobilen Bereich. Weniger bekannt ist das Muster, dass durch Kombinatorik von Innovation und Ubiquität des Wissens Branchengrenzen aufgelöst werden können. Ein Beispiel für das etwas sperrig lautende Muster, ist Uber. Wer hätte gedacht, dass ein Unternehmen wie Uber zum größten Taxiunternehmen wird?


Historisch war Wissen meist einer kleinen Gruppe vorbehalten oder als Expertise in einzelnen Branchen verankert. Heute ist Wissen jederzeit und überall verfügbar. Das vereinfacht es, mit einer innovativen Technologie in eine andere Branche vorzudringen. Vielleicht war das schon immer "Irgendwie" möglich, aber heute sind die Möglichkeiten vielfältig, global und niemand kann so ohne Weiteres vorhersagen, woher die nächste große Idee kommen wird (1).


Wendet man dieses Muster auf Amazon Care an, sieht man wie die mächtige Plattform von Amazon (Vertrieb, Logistik, Medieninhalte, Cloud) mit Telemedizin-Anwendungen kombiniert wurde. Damit könnte Amazon sein Amazon Care extrem schnell international einführen. Allein in Deutschland gibt es bereits 17 Millionen Prime-Abonnementen und noch wesentlich mehr Kunden die Amazon nutzen. Amazon könnte so kleinere Telehealthcare-Anbieter und Startups verdrängen. Diese Situation hat auch Zur Rose Chef Walter Oberhänsli erkannt, der in einem Interview mit der dpa die Möglichkeit einer Übernahme durch Amazon nicht ausschließt.

Kleinere Anbieter haben aber durchaus die Möglichkeit, sich von Tech-Giganten abzuheben, indem sie deren Schwächen aufdecken und diese mit neuen Geschäftsmodellen ausnutzen. Beispielsweise wird Amazon als Online-Händler und damit eher distanziert wahrgenommen. Hier stellt sich die Frage, wie groß das Vertrauen in Amazon als Telemedizin-Anbieter in Deutschland ist. Werden nun "menschenbezogene" Dienstleistungen, die stark auf Vertrauen und intensive online Betreuung setzen, angeboten, lassen sich eher anonyme Großkonzerne ausmanövrieren.


Ein vielversprechendes Beispiel ist das Frankfurter Startup MentalStark: MentalStark hat ein hybrides Geschäftsmodell zur Begleitung in der Frauenheilkunde entwickelt. Patientinnen haben die Möglichkeit persönlich oder per VideoChat mit speziell ausgebildeten Psychologinnen zu sprechen, oder sich völlig digital durch Online-Material unterstützen zu lassen. Das Besondere ist, das dieses Material, Videos, Podcasts oder medizinische Informationen, optimal auf die psychisch belasteten Patientinnen abgestimmt ist. Die sehr einfühlsamen Videos vermitteln die Atmoshäre und Ruhe einer persönlichen Sitzung. Wir werden dieses spannende Startup weiter beobachten.


Geschäftsmodelle in der Telemedizin, die vor allem auf das E-Rezept, online Terminvereinbarung, die elektronische Patientenakte (ePA), Austausch von Daten zwischen Kliniken setzen, dienen vor allem der Prozessoptimierung und Digitalisierung der Verwaltung im Gesundheitswesen. Die Anforderungen an diese Plattformen stellen hohe Hürden für Startups und KMUs dar und sind dem starkem Wettbewerb von Technologie-Giganten ausgesetzt. Geschäftsmodelle, die in der Lage sind, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zu fördern, die individuelle Versorgung zu verbessern und damit für den Patienten einen direkt medizinischen Nutzen bieten, sind die eigentlichen Chancen für Innovationen in der Telemedizin.



 

(1) Kurt Matzler et.all: Wie Sie Ihr Unternehmen auf das digitale Zeitalter vorbereiten; Verlag Franz Vahlen GmbH; München 2016.


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